In dieser Folge der Mythen rund um Kletterausrüstung wollen wir ein neues Fass in Bezug auf Helme aufmachen – genauer gesagt, wie Leute beim Klettern entscheiden, wann sie einen Helm tragen. Außerdem wollen wir eine Prognose über die Zukunft dieser Schutzausrüstung für den Kopf wagen. 

Hach, die Herrlichkeit des Sicherns und der Ruhm nach dem Durchstieg. Vor weniger als 10 Minuten bist du eine technisch anspruchsvolle Route an Minigriffen hinaufgetänzelt, und jetzt kannst du dich entspannen und deinem Gegenüber beim Kämpfen zusehen. Lässig streifst du deine Aspect Pros ab, lässt deinen Helm vom Kopf gleiten und machst es dir gemütlich.  Moment… warum hast du deinen Helm abgenommen? Da klettert doch jemand direkt ÜBER deinem Kopf!  

Richtig, dies ist die gängige Praxis. Man trägt einen Helm, während man über jemandem klettert, und nimmt ihn ab, während man UNTER jemandem steht.  Ok, vielleicht machst du das nicht. Möglicherweise gehörst du zu den Leuten, die den Helm beim Klettern die ganze Zeit anlassen (wir wissen, dass es dich gibt und wir lieben dich). Aber sag mal, wann warst du zum letzten Mal bouldern? Und liegen wir richtig in der Annahme, dass du keinen Helm getragen hast? Und das trotz der einfachen Tatsache, dass du 100 %ig mit mehreren Stürzen pro Session rechnen musst – denn beim Bouldern ist JEDER Sturz ein Sturz auf den Boden. Allerdings tragen die Leute beim Bouldern fast nie einen Helm.  Also, worum geht es? Wie entscheiden wir, wann und wo wir unsere Helme aufsetzen? Werden wir Helme im Laufe der Zeit oder mit der Verbesserung ihrer Technologie bei allen Klettersportarten viel häufiger tragen? Und werden wir auf diese Tage zurückblicken wie ein moderner Radsportler, der die Teilnehmer der Tour de France bestaunt, die vor weniger als 15 Jahren nur mit einer seltsamen Baumwollkappe auf dem Kopf die Alpen hinunter rasten?  

In dieser Ausgabe von Gear Myths gehen wir dem Thema Helm auf den Grund. Wir wollen die besten Kletterer, Kletterinnen und Produktdesigner, die wir kennen, befragen, um mehr über ihre Entscheidungen zum Tragen von Helmen und über die mögliche Zukunft der Kletterhelme zu erfahren.  

Black Diamond presents: Gear Myths

Üblicherweise wurde ein Kletterhelm beim traditionellen Klettern immer dann getragen, wenn ein gewisses Gefahrenrisiko im Spiel war. Wer könnte also besser etwas zu dem Thema beisteuern, als die Königin des „scary“ Trad-Kletterns? Als Gründerin von Strong Mind – einer Coaching- und Community-Plattform für den gezielten Aufbau mentaler Stärke beim Klettern – ist Hazels Erfahrung in Sachen Umgang mit Risiken von größter Bedeutung. Und für sie geht es darum, eine Situation einzuschätzen.  

„ Inzwischen benutze ich für 90 % der Trad-Routen einen Helm“, sagt Hazel. „Die Gefahr von losem Gestein, das Einfädeln des Beines hinter dem Seil oder ein weiter Sturz durch Ausreißen von mobilen Sicherungen ist bei diesem Kletterstil generell größer.“ Aber sie hat erst vor ein paar Jahren damit angefangen.  „Früher habe ich nicht einmal in richtig schweren Trad-Routen einen Helm getragen… das erscheint mir aus heutiger Sicht total verrückt.“ 

Zum Sichern in Mehrseillängenrouten trägt sie einen Helm, aber bei Routen mit einer Seillänge stellt sie sich lieber ein wenig auf die Seite. Es sei denn, der Fels ist bekanntermaßen sehr brüchig, dann setzt sie ihren Helm auf.   Aus eigener Erfahrung weiß Hazel, dass das Tragen von Helmen im Laufe der Jahre zugenommen hat.  

„Da Helme immer besser werden und angenehmer zu tragen sind, fragt man sich warum eigentlich nicht?“ 

Auch Carlo Traversi hat in den mehr als 15 Jahren, in denen er als Spitzenkletterer unterwegs war, einen Anstieg der Helmnutzung festgestellt.   „Vor allem beim Trad- und Mehrseillängenklettern scheinen die Leute häufiger zum Helm zu greifen“, berichtet Carlo. „Selbst beim Sportklettern ist eine gewisse Zunahme zu sehen.“ 

 Persönlich stellt sich Carlo jedes Mal zwei Fragen, wenn er sich einbindet.  „Wie sieht es mit dem Sturzrisiko aus?“ fragt er sich zum Einen.  „Oder, um es genauer zu beschreiben, was passiert im Falle eines Sturzes mit meinem Körper?  In der Route Magic Line (5.14) hätte ich leicht stürzen und mein Bein zwischen Seil und Wand einfädeln können, so dass ich umgekippt wäre, daher war ein Helm wichtig. Die andere Frage lautet: Was sind die objektiven Gefahren? Dies bezieht sich üblicherweise auf Steinschlag oder andere Dinge, die von oben herabfallen können. Die Art des Gesteins, die Felsqualität und die Frage, ob ein bestimmter Ort für Steinschlag bekannt ist, spielen bei der Einschätzung eine Rolle. Wenn einer dieser drei Punkte unklar ist, trage ich normalerweise einen Helm.“ 

 Zum Sichern hält Carlo einen Helm für fast noch wichtiger.  „Beim Klettern können Griffe oder Tritte ausbrechen und dir auf den Kopf fallen. Außerdem kann man beim Sichern von weiten Stürzen vom Boden weggezogen werden“, erklärt er.  

 Ein guter Rat. Aber wie hält er es als jemand, der eine Fülle von Boulderproblemen bis V15 (8c) eingerichtet hat, mit dem Bouldern? Helm oder nicht Helm?   „Ich sehe immer häufiger Leute, die beim Bouldern einen Helm tragen, und ich denke, dass es in manchen Situationen eine gute Idee ist – aber nicht immer“, sagt Carlo. „High Balls mit unebenen Landungen und Überhänge, unter denen man auf den Rücken fallen kann, sind gute Beispiele für Situationen, in denen ein Helm wirklich nützlich sein kann.“ Er weist jedoch auch darauf hin, dass Helme beim Bouldern eine potenzielle Gefahr darstellen können. „Beim Bouldern immer einen Helm zu tragen kann auch gefährlich sein, wenn der Helmrand bei einem Sturz an einer natürlichen Struktur oder am Spotter hängen bleibt. Dies könnte beispielsweise zu einer gefährlichen Überdrehung der Nackenpartie führen.“ 

 Ein gutes Argument.  

 

Für den Highball-Spezialisten, Mitglied des US National Teams und Allrounder Timmy Kang kommt ein Helm beim Bouldern erst in Frage, wenn er das Sturzpotenzial abgeschätzt hat.  „Ich würde einen Helm nur in bestimmten Situationen in Betracht ziehen. Dabei denke ich an das Sturzpotenzial und die Art des Sturzes, der mir passieren könnte“, sagt Timmy. Für die jüngere Generation von Kletterern wie Timmy ist ein Helm eher in Trad- oder Mehrseillängenrouten üblich.  Das wird deutlich, wenn man sich ältere Fotos von Sonnie Trotter oder Didier Berthod bei der Erstbegehung von Cobra Crack (5.14) anschaut – 2006 war dies die wohl härteste Risskletterei mit einer Seillänge der Welt. Da siehst du Didier weit über dem Haken in Jeans, ohne Shirt… er legte sogar den 40-minütigen Zustieg zur Route barfuß zurück. Und dann der gut aussehende Sonnie, ohne Hemd und mit einem umgedrehten Baseballcap.  

 Zwei Jahrzehnte später kommt Connor Herson, ein Topkletterer der neuen Generation mit einer Vorliebe für Old-School-Routen, und steigt die Cobra in nur wenigen Versuchen durch … mit einem Helm auf dem Kopf.  Wir haben mit Connor geplaudert, als er rund um Squamish einige Routen im Durchstieg klettern konnte, und er erzählte uns, dass er beim Klettern eigentlich immer einen Vapor Helm trägt. „Meistens trage ich einen Helm, wenn ich Mehrseillängenrouten klettere oder die Sicherungen selbst legen muss“, sagt Connor. „Kurz gesagt, ich trage nicht nur beim Sportklettern einen Helm.“ 

 Was das Bouldern angeht, meint er, ist es nicht ausgeschlossen. „Wenn ich häufiger bouldern würde, würde ich eventuell bei Highballs oder Boulderproblemen mit schlechter Landung einen Helm tragen. Aber da ich ohnehin nicht viel bouldern gehe, meide ich solche Boulderblöcke einfach“, lacht er.  

 Laut Kolin (KP) Powick, der seit über 20 Jahren bei Black Diamond an der Entwicklung, Konstruktion und Produkttests arbeitet, werden wir in Zukunft noch mehr Kletterer wie Connor mit Helmen sehen.  „Als Kind sah man selten jemanden mit Skihelm auf der Piste, aber jetzt tragen fast alle einen Helm… beim Klettern ist es dasselbe“, erklärt er. „Ich sehe definitiv immer mehr Leute, die beim Trad- oder Sportklettern einen Helm tragen, und es ist mir sogar schon ein paar Mal in der Kletterhalle aufgefallen!“ KP erklärt, dass einer der Hauptfaktoren für die zunehmende Akzeptanz von Helmen Verbesserungen in der Technologie sind – moderne Helme sind leichter, atmungsaktiver und tragen weniger auf. Aber auch kulturelle, gesellschaftliche und erzieherische Faktoren spielen eine Rolle.   „Genauso ist es heutzutage üblich, dass die Leute auf der Skipiste einen Helm tragen – Sicherheit, Schutz, mehr Wissen über Kopfverletzungen usw. … die Zeiten ändern sich einfach, und das Gleiche passiert auch beim Klettern“, sagt er.  

Black Diamond presents: Gear Myths

Und wie Hazel fügt auch KP hinzu: „Es gibt eigentlich keinen Grund mehr, beim Klettern KEINEN Helm zu tragen.“  

Mit Erica Dombro, Product Design and Development Engineer, haben wir uns über den Prozess der Helmentwicklung bei Black Diamond unterhalten. Ihrer Meinung nach ist der wichtigste Faktor für bei der Entwicklung zunächst, dass ein Helm die Aufprallnormen erfüllen muss.  „Keines der anderen Merkmale spielt eine Rolle, wenn der Helm den Aufpralltest oder die Wirksamkeitsprüfung des Rückhaltesystems nicht besteht“, erklärt sie. Aber sobald wir diese Hürde genommen haben, kommt der Part, der wirklich Spaß macht und die Perspektive beim Klettern einschließt.  „Dabei geht es um Strapazierfähigkeit, Gewicht, Vielseitigkeit und Schutz“, sagt sie. Außerdem berücksichtigen wir Situationen, in denen sich der Helm nicht auf dem Kopf befindet.  „Wir haben einen Test, bei dem der Druck simuliert wird, der auf einen Helm wirkt, wenn er z. B. in einem aufgegebenen Gepäckstück transportiert wird.“ 

 In Sachen Kletterstil sagt Erica, dass Sport- und Trad-Klettern ähnliche Anforderungen stellen, so dass ein Helm für beides geeignet ist. Das Team passt unseren Vision-Helm dennoch an das Klettern im Winter an.  Sie erklärt: „Zum Eisklettern kannst du beispielsweise die Polsterung für die Passform aus dem Helm herausnehmen, um eine dünne Mütze darunter tragen zu können“, sagt sie. Deshalb sind bei unserem Vision-Helm die Klettverschlüsse so an den Passformpolstern angebracht, dass nur die Flauschseite im Helm zurückbleibt, wenn die Polster herausgenommen werden. Auf diese Weise kann sich eine Mütze im Helm nicht am Klettverschluss verfangen.“ Das ist echt cool. 

 Aber es gibt noch einen weiteren entscheidenden Faktor, den Black Diamond bei der Entwicklung und Gestaltung von Helmen berücksichtigt.  „Niemand will wie ein Depp aussehen“, sagt KP trocken. Hierbei zählt Erica auf unser fleißiges Industrial Design Team. „Wir von Black Diamond stehen auf gut aussehende Helme, daher sind Form und Stil für uns sehr wichtig. Ein großes Lob an unser Industrial Design Team, das dafür sorgt, dass wir keine Helme auf den Markt bringen, mit denen du wie ein Pilz aussiehst!“  Was die Zukunft der Helme angeht, so werden sie sich laut Erica noch weiterentwickeln.  „Ich bin mir nicht sicher, ob am Ende die Leute selbst in Kletterhallen und beim Bouldern Helme tragen werden. Aber wenn man einen Helm hat, der so cool aussieht wie der Vapor, würde ich nicht ausschließen, dass die Leute ihn auch wegen seines Stils tragen!“ 

 Mit dem neuen Vapor der mit 155 Gramm bzw. 180 Gramm in Größe L der leichteste Helm auf dem Markt ist, gibt es wirklich keine Ausrede mehr, nicht so cool auszusehen wie Connor beim Klettern der Cobra.  Oder behalte ihn zumindest beim nächsten Sichern auf dem Kopf.